Was wäre eine Kirche ohne Orgel?
Ein ganzes Jahr lang feiern wir 300 Jahre Stadtkirche Kreuzlingen. Anlass genug, Ihnen verschiedene Facetten des Baus zu beleuchten. Hier der Beitrag zu unserer Orgel.
Stefan Hochstrasser,
Schon fast 100 Jahre begleitet die Orgel der Stadtkirche unsere Gemeinde. Befand sie sich anfangs noch in einem verspielt romantischen Prospekt, wurde ihr 1969 das heutige, schlichte Kleid verpasst. Was das Instrument besonders macht, ist ihre pneumatische Traktur (Übertragungssystem).
1930 wurde die Orgel durch die renommierte Orgelbaufirma Kuhn aus Männedorf anstelle einer älteren Orgel, die nach Willisau verkauft wurde, eingebaut. Kuhn wählte damals die pneumatische Traktur, die ihre Blütezeit zwischen 1890 und 1930 hatte. Im Gegensatz zur älteren mechanischen Traktur, bei der der Tastenanschlag über dünne Holzleisten, Holzwinkel und Metalldrähte weitergeleitet wurde, erfolgt bei der pneumatischen Traktur alles über Luftdruck. Hier ist das Tastenventil über ein dünnes Bleiröhrchen mit dem Tonventil verbunden. Man kann sich also vorstellen, welch ein Röhrensalat sich hinter dem schlichten Orgelprospekt versteckt. Wird nun eine Taste gedrückt, baut sich ein Luftdruck in der Röhre auf, der das Tonventil öffnet und die Pfeife damit zum Erklingen bringt. Die Orgel braucht so neben dem Spielwind, der die Töne erzeugt, auch den sogenannten Arbeitswind.
Der Vorteil solcher Orgeln ist, dass der Organist mit viel weniger Kraftaufwand in den Fingern spielen konnte. Der Nachteil zeigt sich jedoch in der Verzögerung, die zwischen dem Drücken der Taste und dem Erklingen des Tones besteht. Dies ist wohl der Hauptgrund, warum pneumatische Orgeln nach 1930 mehrheitlich verschwanden und durch schneller reagierende Elektro-pneumatische oder Elektro-mechanische Trakturen abgelöst wurden.
Die Orgel und die Organistin
Was wäre ein Gottesdienst ohne Orgelmusik? Absolut undenkbar für die einen, auch für mich, eine willkommene Abwechslung für die andern. Noch mehr gehen die Empfindungen auseinander bei den Abdankungen. Da schenkt die Orgelmusik den einen Trost, während sie die andern noch mehr in die Tiefe zieht.
Ich denke, es macht viel aus, was und wie man spielt. Ich bemühe mich immer, meine Stücke der Art der Lieder und Texte anzupassen, sodass ein Gottesdienst ein in sich geschlossenes Ganzes bildet. Die Orgel ist ein derart vielseitiges Instrument, das je nach Registrierung jubeln, rauschen, meditieren, begleiten kann und von daher höchste Ansprüche an das Einfühlungsvermögen des Organisten, der Organistin stellt.
Zudem kann man auf ihr die verschiedensten Stilrichtungen realisieren, auch wenn ich persönlich die Zeit des Barocks und der Klassik bevorzuge. Ein Choral aus unserem Gesangbuch, freudig gesungen von der Gemeinde, ebenso freudig begleitet von der Orgel, gehört für mich zum eindrücklichsten Erlebnis des Gottesdienstes, das in mir noch lange nachklingt, daran hat sich auch nach 50 Jahren Orgeldienst nichts geändert!
Annina De Carli und Elisabeth Hahn